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AutorenbildLeonard Sommer

PISA deckt auf: Bringen deutsche Schulen auf Ideen? Wie kreativ ist der Output an deutschen Schulen im internationalen Vergleich wirklich?

Die aktuelle PISA-Studie liefert einen ernüchternden Einblick in puncto Kreativitätsförderung an deutschen Schulen. Eine zweite Studie der Initiative Classroom Thinktank deckte bereits 2023 auf, welche Gründe Jugendliche hierfür sehen und welche Rahmenbedingungen das Dilemma in ihren Augen ändern könnten.

Abb.: The Stressed Vitruvia Man", Mandilakhe Konza, Klasse 11. Govan Mbeki Mathematics Development Centre der Nelson-Mandela-Universität


Die Internationale Schulleistungsstudie PISA überprüft seit der Jahrtausendwende, inwieweit Schülerinnen und Schüler gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben, die für eine volle Teilhabe am Leben unserer modernen Gesellschaft unerlässlich sind. Am 18. Juni 2024 wurden die Ergebnisse der Sondererhebung zu kreativem Denken veröffentlicht. Es ist das erste Mal, dass diese Kompetenz in einer PISA-Studie erfasst wird.


Mit großer Neugier haben wir die Ergebnisse aufgesogen. Vor allem aber freut uns, dass das Thema nun endlich auch offiziell in den Fokus gerückt wird. Passend zu diesen spannenden offiziellen Ergebnissen ziehen wir die Ergebnisse unserer eigenen Erhebung aus Januar 2023 heran, die aufzeigen, wo über 4.500 Jugendliche die Ursachen sehen, und, viel interessanter, welche konkreten Rahmenbedingungen Kreativität in Schulen fördern könnten.


Schauen wir uns einmal den schiefen Turm von PISA an. Laut PISA 2022 liegen die Schülerinnen und Schüler in Deutschland beim kreativen Denken international im Mittelfeld, nahe am Durchschnitt der wirtschaftlich entwickelten Länder in der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Insgesamt haben 64 Länder an der Erhebung zum kreativen Denken teilgenommen. Schon bei den fachlichen Kompetenzen – im Lesen und in Mathematik – lagen die deutschen Leistungen im OECD-Durchschnitt, in den Naturwissenschaften leicht darüber.

Um kreatives Denken zu messen, durften die Schülerinnen und Schüler endlich einmal offene Aufgaben bearbeiten. Beispielsweise wurden sie eingeladen, Dialoge für einen Comic zu schreiben, originelle Ideen für eine Filmgeschichte zu entwickeln oder ein kreatives Poster für eine Schulausstellung zu entwerfen. Auch kreatives Problemlösen war gefragt: Die Jugendlichen konnten neue Ideen entwickeln, um eine Bibliothek rollstuhlgerechter zu gestalten oder eine originelle Kampagne über die Bedeutung von Bienen für die Natur zu entwerfen. Eigentlich schade, dass die Studie nicht regelmäßiger durchgeführt wird, dann hätten Lehrende auch offiziell mehr Zeit für kreative Aufgabenstellungen im Unterricht.


Jugendliche sehen Unterricht in Bezug auf kreatives Denken kritisch.


Die PISA-Studie hat nicht nur das kreative Denken gemessen, sondern auch danach gefragt, wie Jugendliche den Unterricht diesbezüglich wahrnehmen. Schülerinnen und Schüler in Deutschland beurteilen den Unterricht deutlich kritischer als im internationalen Vergleich. Nur 50 Prozent der Jugendlichen geben an, dass ihre Lehrkräfte sie ermutigen, originelle Ideen zu entwickeln (OECD: 64 Prozent). Nur 53 Prozent geben an, dass sie im Unterricht genügend Zeit haben, um kreative Lösungen für eine Aufgabe zu finden (OECD: 63 Prozent). Am ernüchternsten war für uns folgende Differenz: Während weltweit 70 Prozent sagen, dass Lehrkräfte die Kreativität der Jugendlichen schätzen, sind es in Deutschland nur 59 Prozent. Auch sieht nur etwa die Hälfte der 15-Jährigen (52 Prozent) in der Schule die Möglichkeit, ihre Ideen zu äußern (OECD: 69 Prozent).


Welche Gründe Jugendliche für das Dilemma sehen und welche Rahmenbedingungen die Situation in ihren Augen ändern könnte?


An dieser Stelle erlauben wir uns, die Ergebnisse der repräsentativen Meinungsumfrage unter insgesamt 4424 Jugendlichen und jungen Erwachsenen des Trendinstituts von PlayTheHype im Auftrag der Initiative Classroom Thinktank heranzuziehen.

Die Umfrage zeigt auch auf, welche Faktoren dazu führen könnten, dass schulisches Lernen nicht auf Ideen bringt. So geben 72 Prozent der Befragten an, dass das Schulsystem von ihnen vor allem fordere, vorgegebene Lösungen zu liefern. Immerhin 60 Prozent meinen, dass der Zwang, alles richtig zu machen, zu einer Angst vor Fehlern führe. Im Ranking folgen: die fehlende Förderung des Lernens im Team (36 Prozent), die uninspirierenden Klassenzimmer in Schulen (28 Prozent) und der überladene Lehrplan, der keine Zeit für neue Ideen lasse (25 Prozent).


Quelle: PlayTheHype Research, Januar 2023, n= 4424 Proband*innen im Alter von 14-26 Jahren, Umfrage im Auftrag der Initiative Classroom Thinktank.


Was denken Jugendliche über den Stellenwert von Kreativität?


Werfen wir wieder einen Blick nach PISA. Die Schülerinnen und Schüler wurden hier auch zu ihrer Einstellung zu kreativem Denken befragt. Hier liegen die Ergebnisse im weltweiten Durchschnitt oder sogar leicht darüber. 78 Prozent geben an, gerne neue Dinge zu lernen (OECD: 83 Prozent) und neugierig auf viele verschiedene Dinge zu sein (OECD: 77 Prozent). Ein größerer Unterschied zeigt sich bei der Frage, ob es für Jugendliche befriedigend ist, neue Ideen zu entwickeln: Während dies weltweit 74 Prozent bejahen, sind es in Deutschland nur 56 Prozent.


Wie kreativ ist der Output an deutschen Schulen im internationalen Vergleich?


Singapur und Südkorea sind auch im kreativen Denken PISA-Spitzenreiter. Weltweit betrachtet sind Singapur, Südkorea, Kanada, Australien, Neuseeland, Estland und Finnland im kreativen Denken deutlich überdurchschnittlich. Während in Deutschland nur 53 Prozent der 15-Jährigen in einfachen Vorstellungsaufgaben oder alltäglichen Problemlösesituationen originelle und vielfältige Ideen einbringen (OECD: 54 Prozent), sind es in Singapur, Südkorea und Kanada über 70 Prozent (Kompetenzstufe 4 oder höher).

Länder, deren Schülerinnen und Schüler beim kreativen Denken besonders gut abschneiden, integrieren nach Angaben der PISA-Autoren Kreativität häufig in den Lehrplan. Diese Länder hätten in den letzten Jahren kreative Denkprozesse als zentrale Elemente ihrer Bildungspolitik verankert und diese durch Strategiepläne und praktische Ressourcen für Lehrkräfte unterstützt. Die Studie weist auch darauf hin, dass diese Länder in den Lehrplänen Freiräume schaffen, damit Schülerinnen und Schüler kreativ, erfahrungsorientiert und interdisziplinär arbeiten können.


Wie könnte Schule Kreativität fördern?


Hierzu gibt die Studie der Initiative Classroom Thinktank Aufschluss und eröffnet eine erste Orientierung für die Verantwortlichen in der Politik. 72 Prozent der jungen Deutschen geben an, dass die Bereitstellung von mehr Zeit für kreatives Denken und kreative Projekte erfolgen sollte. 57 Prozent wünschen sich Unterstützung des Lernens im Team, um gemeinsam Probleme beim Lernen zu lösen. Es folgen die Einführung einer Lernkultur, die Fehler erlaubt, aus denen man lernen kann (54 Prozent), und die Fortbildung der Lehrkräfte, um alternative Lösungen zu erkennen und zu fördern (46 Prozent). Immerhin schon 38 Prozent der jungen Menschen schlagen den Einsatz von zeitgemäßen Technologien wie Künstliche Intelligenz und Virtual Reality für mehr kreatives Lernen vor. 62 Prozent der befragten Schüler*innen und Studierenden gaben zudem an, dass digitales Lernen das Potenzial habe, ihre Kreativität zu fördern.


Was kann Schule von der Kreativindustrie lernen?


Seit 2014 laden wir Gleichgesinnte dazu ein, sich Gedanken dazu zu machen, wie wir Lehrende mit konkreten praxisrelevanten Ideen unterstützen können, Kreativität beim Lernen zu fördern. Im Rahmen der Initiative Classroom Thinktank wurden mehr als 100 Kreative und Bildungs-Vordenker in 35 Ländern eingeladen, darüber nachzudenken, wie Kreativität in der Schule der Zukunft gefördert werden könnte. Um die gemeinsam entwickelten Ideen jedem zugänglich zu machen, der Kinder hat oder sich mit schulischem Lernen beschäftigt, entschieden wir uns bereits im Erscheinungsjahr der PISA-Studie, das Buch „Wenn Schule auf Ideen bringt – 100 Kreative denken Lernen neu“ über das Projekt zu veröffentlichen.


Neben dem Hamburger Jungunternehmer Jakob Neise finden sich in diesem Buch auch die Ideen von Kreativgrößen wie Matt Goldman (Gründer der internationalen Entertainment-Gruppe „Blue Man Group“) und Michael Conrad (Kreativchef der Agentur Leo Burnett Chicago), aber auch Bildungs-Vordenker wie Uta Hauck-Thum (LMU München), Pamela Burnard (Cambridge University), Philippe Longchamps (Lehrer des Jahres in Schweden), der finnische STEAM-Forscher Kristóf Fenyvesi, der Frankfurter Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Andreas Dengel von der Goethe-Universität oder der Karlsruher Schulleiter Micha Pallesche.


Zu PISA:

Die Programme for International Student Assessment (PISA)-Studie ist eine international vergleichende Schulleistungsuntersuchung, die unter der Leitung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) seit dem Jahr 2000 alle drei Jahre durchgeführt wird. PISA untersucht die Kompetenzen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. In jedem Zyklus der PISA-Studie wird zusätzlich ein neuer Kompetenzbereich als sogenannte „innovative Domäne“ getestet. In PISA 2022 war diese „Kreatives Denken“.


Zu den wichtigsten Ergebnissen ist der Kurzbericht „Kreatives Denken in Deutschland und im internationalen Vergleich. Kurzbericht der Ergebnisse der innovativen Domäne aus PISA 2022“ erschienen, in den es sich lohnt, einen Blick zu werfen (Autoren: Jennifer Diedrich, Sabine Patzl, Pia Todtenhöfer, Doris Lewalter). https://www.pisa.tum.de/fileadmin/w00bgi/www/Berichtsbaende_und_Zusammenfassungen/9783830949190_KREA-open_access.pdf



Zum Fachbuch:

„Wenn Schule auf Ideen bringt“ inspiriert mit zahlreichen normbrechenden Ideen und konkreten Praxis-Methoden. Diskutiert werden innovative Ansätze rund um Themen wie Organisations-Design, Lernkultur, Rolle der Lehrer und Eltern, innovative Lehrmethoden, aber auch alternative Bewertungsmodelle. Zehn zukunftsorientierte Schulen, die den Wandel schon vollzogen haben, werden persönlich von ihren Schulleitern vorgestellt.

Die 3. Ausgabe wurde um +60 Seiten erweitert und liefert ein neues Kapitel mit dem Blick auf die Potenziale der Kreativitätsförderung in der Schule mit innovativen Technologien, wie Künstliche Intelligenz, Virtual oder Augmented Reality.


Die aktuelle Ausgabe kann hier im Online-Shop oder im Buchhandel oder direkt beim Vahlen Verlag bestellt werden.

 

Pressekontakt:

Leonard Sommer

Initiative Classroom Thinktank

Gartenstraße 4

76133 Karlsruhe

Fon: +49 172 7355424


Content:


1. Key Visual des Artikels (bitte Bildnachweis angeben: Abb.: "The Stressed Vitruvia Man", Mandilakhe Konza, Klasse 11. Govan Mbeki Mathematics Development Centre der Nelson-Mandela-Universität.)


2. Grafik Studienergebnisse (Bitte Quellenangabe: Quelle: PlayTheHype, Januar 2023, n= 4424 Proband*Innen im Alter von 14-26 Jahren, Umfrage im Auftrag der Initiative Classroom Thinktank


3. Titelbild des Buches „Wenn Schule auf Ideen Bringt – 100 Kreative denken Lernen neu“


4. Social Media Animation, Studienergebnisse 1: Umfrage_negativ.mp4


5. Social Media Animation Studienergebnisse 2: Umfrage_positiv_PR.mp4


 

 

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