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Förderung der Kreativität im Klassenzimmer. Wie die Kreativwirtschaft Schule inspirieren kann.

Aktualisiert: 21. Dez. 2022

PRESSE: didacta – Magazin für lebenslanges Lernen 1/2015


Leonard Sommer, Geschäftsführer der Werbeagentur Sommer+Sommer suchte zwei Jahre lang nach innovativen Ansätzen zur Förderung von Kreativität in der Schule. Sein Ziel dabei: Faktoren zu definieren, die zukünftig helfen könnten, Kreativität in den Schulen voranzutreiben.




Interview Kaja Godart


Gemeinsam mit der Berlin School of Creative Leadership untersuchte der Kreative Leonard Sommer die Frage „Wie kann Kreativität in der Schule des 21. Jahrhunderts gefördert werden – wie kann die Kreativwirtschaft unsere Schulen inspirieren?“. Dazu sammelte er von Kreativen aus über 35 Ländern Inspirationen für neue Rahmenbedingungen an den Schulen der Zukunft. Über 100 führende Kreative unterstützten das Projekt mit ihren Ideen und Vorstellungen von einer Schule, welche dazu beitragen könnten das kreative Potenzial eines jeden Kindes zu entfalten. didacta gewährt einen kleinen Einblick in die umfangreiche Arbeit, die im nächsten Jahr auch als Buch veröffentlicht werden soll.


didacta: Wie definieren Sie eigentlich Kreativität in Ihrer Arbeit?


Leonard Sommer: Förderung von Kreativität wird in der schulischen Bildung schnell voreilig mit den Fächern Musik und Kunst assoziert. Aus unserer Sicht geht es vor allem darum, kreative Lösungen für noch unbekannte Probleme zu finden. Die wenigsten Schulen bereiten Ihre Schüler auf morgen vor und lehren, wie Kinder lernen, was in der Zukunft benötigt wird. Und dann werden unsere Kinder Probleme lösen müssen, auf deren Lösung heute noch keiner eine Antwort hat. Eine Studie aus Australien besagt, dass 65% der Vorschüler in Jobs arbeiten werden, die es heute noch nicht gibt.[1] Daher sollten unsere Schulen neben der klassischen Wissensvermittlung vor allem auch darauf vorbereiten, das Unerwartete zu lösen. In Konsequenz müssen wir die wichtigste menschliche Ressource der Kindheit erhalten und fördern: die Kreativität.

Wie könnte mehr Kreativität in die Schulen kommen?


Um neue Bildungsansätze zu entwickeln und Methoden und Prinzipien von der

Kreativwirtschaft zu transferieren, definierten wir anhand von Inspirationsfragen,

was Schulen von der Kreativwirtschaft lernen können. Ich will nicht zu negativ erscheinen, aber die eingehende Untersuchung einer destruktiven Lernkultur, verkrusteter Strukturen, unterforderter Lehrer, gleichmacherischer Prüfungsmethoden und eines Bewertungssystems, das an der Verwirklichung seiner eigenen Ziele scheitert, machten mir persönlich einmal mehr klar wie dringend ein radikaler Wandel des Bildungssystems nötig ist.


Nach intensiver Online-Recherche und der Bewertung der Ergebnisse aus quantitativen

und qualitativen Umfragen mit Befragten in 35 Ländern, in denen die Gründe für die Unterdrückung und die Potenziale zur Förderung von Kreativität abgefragt wurden, ebenso wie zahlreichen Interviews mit Schülern, Lehrern, Eltern, Unternehmern, Kreativen,

Professoren und Menschen der unterschiedlichsten Berufsgruppen wurde ein Strategie-Modell für einen möglichen Wandel entwickelt. Basierend auf den fünf Bausteinen Lernkultur, Organisations-Design, Lehrerrolle, Lehrmethoden und Beurteilung zielt es darauf ab, Richtungen aufzuzeigen und einen ersten Grundstein für ein innovatives Schulkonzept zu legen. Es soll Bildungsexperten, Schulen und angeschlossene Einrichtungen sowie deren Entscheidungsträger dazu anregen, zur Orientierung auch andere Branchen zu betrachten, um sich auf den Wandel vorzubereiten und ihn nachhaltig zu verwirklichen.


Wo kommt die Idee her und wie lässt sich das auf die Schule übertragen?


Inspiriert ist diese Grundstruktur vom Internetunternehmen Google. Hier konnten die Mitarbeiter bis vor Kurzen noch 20 Prozent ihrer Arbeitszeit in die Entwicklung von eigenen Projekten investieren. Ein ähnlicher Ansatz schwebt uns auch für das Lernen an Schulen vor. Nur noch 50 Prozent der Zeit könnten nach dem Prinzip „Wissen-was“ der reinen Wissensvermittlung dienen, 30 Prozent unter dem Schlagwort „Wissen-wie“ für Projektarbeit aufgewendet werden. Und 20 Prozent könnten getreu dem Motto „Leidenschaft-zu-wissen“ in die Förderung des individuellen Talents investiert werden. Egal was – sei es Cello spielen oder Dinge bauen. Dann würden die Kinder mit 18 aus der Schule kommen und wissen, was ihnen liegt und Spaß macht und vielleicht sogar, welche Leidenschaft sie wirklich antreibt. Aus meiner Sicht könnten bei diesem Ansatz die Ganztagesschulen eine wichtige Rolle übernehmen und den Kindern auf der Suche nach ihren Vorlieben freie Wahl lassen.

Was bedeutet das für die Rolle der Lehrer?


Lehrer erhalten eine wunderbar inspirierende Rolle. Sie dürften nicht nur das Wissen vermitteln, sondern eher „Talent Coaches“ sein: Das bedeutet, dass sie auf das fokussieren, was das Kind besonders gut kann. Es selbst entdecken lassen, wo seine Talente liegen und es dementsprechend fördern und unterstützen. Dies kann in den 20 Prozent der „freien“ Zeit passieren, in der es nicht darum geht, irgendetwas zu leisten, sondern das zu tun, wofür das Individuum sich begeistert.


Wie kann Kreativität im regulären Unterricht gefördert werden?


Wir haben 550 Menschen dazu befragt. Über 55% waren der Meinung, dass Kreativität in der Schule vor allem durch den konstruktiven Umgang mit Fehlern gefördert werden könne. Unmittelbar danach folgen die Förderung von „individuellen Leidenschaften und Talenten“, die Honorierung von eigenen Ideen und die Inspiration durch offene Fragen, die zu neuen Lösungsansätzen führen können.


Wie kommt mehr Kreativität in die Schulen?


Im Sommer 2014 lud ich zum „Classroom ThinkTank“ auf dem Internationalen Kreativfestival in Cannes ein. Wo sonst die goldenen Löwen verliehen werden, konnten die Kreativen eigene Ideen einbringen, wie das Bildungssystem kreativer werden könnte.


Ich möchte Ihnen ein Beispiel näher bringen (Auszug aus "Wenn Schule auf Ideen bringt – 100 Kreative denken Bildung neu").

Keith Reinhard, der ehemalige Vorstand von DDB Worldwide Inc., einer der größten Werbeagenturen der Welt, mit über 200 Büros in knapp 100 Ländern. empfiehlt eine zeitgemäße Lernkultur, basierend auf diesen vier "Freiheiten":


· Unterricht sollte frei sein von Angst sein

Angst hemmt jegliche Kreativität. Schüler sollten sich nicht davor fürchten müssen, in Schubladen gesteckt, kategorisiert oder verglichen zu werden. Um ihnen die Angst zu nehmen, sich zu blamieren oder ausgelacht zu werden, sollten sie ermutigt werden, zu sagen, was sie denken und ihre wahren Gefühle auszudrücken. Wichtig ist dabei auch, keine Angst vor dem Lehrer haben zu müssen.


· Die Freiheit, scheitern zu dürfen

Kreative wagen sich in unbekanntes Terrain vor und es gibt keine Garantie dafür, dass die Ideensuche erfolgreich ist. Nur wer Fehler machen darf, wird sich trauen, es nochmals zu probieren. In Klassenzimmern herrscht normalerweise das Ziel, nicht zu scheitern. Doch alle großen Erfinder in der Menschheitsgeschichte mussten scheitern, bevor ihnen der große Durchbruch gelang.


· Freiheit vor Chaos

Oft entsteht Chaos durch unklare Kommunikation, Unsicherheit oder Arroganz der Autoritätsperson, etwa, wenn der Schüler nicht weiß, was von ihm erwartet wird. Im Klassenzimmer wird das Chaos noch verstärkt, wenn Räume zu klein oder Klassen zu groß sind.

· Freiheit, anders ein zu dürfen

Jedes Individuum hat das Recht darauf, individuell, seinen Fähigkeiten entspechend gefördert zu werden. Für Lehrer bedeutet das, die individuellen Talente der Kinder zu berücksichtigen und zu fördern, anstatt Konformität zu erwarten. Curricula sollten an die Schüler angepasst werden und nicht umgekehrt.


Was können Lehrer von Führungskräften aus kreativen Unternehmen lernen, um Kreativität zu fördern?


· Für kreative Inspiration sorgen

Im New Yorker Büro von DDB gibt es regelmäßige „Curiosity Sessions”, zu denen Kreative wie Architekten, Musiker oder Designer eingeladen werden, um von ihrer Arbeit zu berichten. Kommen die ins Klassenzimmer, werden unsere Kreativen durch Einblicke in das Leben und Arbeiten kreativer Köpfe inspiriert.


· Auf Problemlösungen konzentrieren

Anstatt nur Fakten und Theorien zu vermitteln, sollte sich Unterricht auf die wahren Probleme und Fragen in der Lebenswelt der Schüler besinnen und dafür kreative Lösungen entwickeln.

· Kreatives Denken belohnen

Finden Sie Möglichkeiten, kreative Ideen zu feiern und zu belohnen, ohne zu bewerten!


Was müssen die Kreativen von morgen können?


Fabian Roser, Geschäftsführer Kreation bei der Werbeagentur Jung von Matt/next hat die seiner Meinung nach wichtigsten Fähigkeiten für didacta zusammengefasst:


• Das Handwerk meistern, Ihren Fachbereich beherrschen und wissen, was sie tun

• Die Klaviatur moderner Kommunikation verstehen

• Kopfarbeit leisten, denn jede Idee beginnt im Kopf

• Ideen lieben und Emotionen wecken

• Teamwork: Stärken anderer nutzen und Andersartigkeit schätzen

• Leidenschaftlich sein!

• Kreatives Ego abbauen. Die Meinung anderer gelten lassen.

• Keine Angst zu scheitern

• Wahrheiten erkennen, relevante Geschichten erzählen


Herr Sommer, warum ist Ihnen das Thema so wichtig?


Weil ich bei meinen beiden Kindern eine schleichende Schulunlust beobachtete und mich gefragt habe, woher das kommt. Und weil ich von der Kraft der Kreativität in der Kindheit fasziniert bin und es schade finde, wie diese durch den Zwang zur Konformität in unserer Bildungskultur quasi systematisch unterdrückt wird.


Was ist Ihre Meinung?

Wie kann Kreativität in unseren Klassenzimmern ab sofort gefördert werden?

Sagen Sie Ihre Meinung auf: www.wenn-schule-auf-ideen-bringt.de

[1] Davidson, Cathy N. – “Now You See It: How Technology and Brain Science Will Transform Schools and Business for the 21st Century”

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